Neues zur Geschichte des „Mothsgungl“

Das „Mothsgungl“ - eine kulturhistorische Scheibenberger Figur, mit jahrhundertealten Wurzeln.

1997 erhielt ich ein altes Mothsgungel zur Restauration, das zum Teil nur noch aus Fragmenten bestand. Nach dem Abschleifen der Bemalung fand ich als Urfarbe eine hautfarbene Körperbemalung und einen blauen Lendenschurz vor und ich wusste wieder einmal, eine sehr alte Figur vor mir zu haben. Erstaunt war ich, als ich bemerkte, dass die Figur nicht aus Pappmache bestand. Hier waren bis zu 10 Lagen Papier mit einer Art Mehlkleister verleimt und um einen Knäuel Papier gewickelt. Zum ersten Mal hatte ich eine Figur vor mir, die wahrscheinlich nicht aus Scheibenberg stammte, denn tschechische Wortfetzen auf dem Papier waren mir bislang unbekannt.

Nach einer ersten Veröffentlichung in Buchform ( Erzgebirgisches Weinachts ABC 1.Teil ) glaube ich, ist es an der Zeit, meine gesammelten Erkenntnisse über das Mothsgungl auch in Scheibenberg bekannt zu machen. Unterstützung bei meinen Nachforschungen fand ich bei Herrn Alex Rachec / Eger, Herrn Thomas Vreck / Prag, Frau Alix Paulsen und Herrn Erhard Heimhold vom Husum Druck und Verlagshaus / Schobül .

Die Figur wurde ca. 1815 vom Tongefäßfabrikanten Otto (?) Kunze aus dem Böhmischen nach Scheibenberg gebracht. Dort soll sie bereits seit 1780 verbreitet gewesen sein. Auch Form, Maße und Materialien sollen regional sehr unterschiedlich gewesen sein.

Böhmerwald : Holz, primtievst geschnitzt
Pilsen - Egerland:    Pappmache und ähnliche Rezepturen
Prag: Ton von Hand geformt
Die einzige Serienmäßige Produktion soll es in einer kleinen Terrakottamanufaktur in Prag um 1800 gegeben haben.

Wahrscheinlich wurde die Figur von verarmten Familien jeweils selbst hergestellt. So gut wie sie es eben mit den Materialien, die ihnen zur Verfügung standen, vermochten. So sind wohl auch die anatomischen Fehler, unterschiedlichen Materialien und Körperhaltungen der Figur zu erklären. Von armen tschechischen Köhlern, Bauern und Bergleuten wurde die Figur nicht nur zur Weihnachtszeit verehrt, sondern das ganze Jahr als Glücksbringer wohl umsorgt. Alle Kinder der Familie sollen zum 1. Geburtstag eine solche Figur als Glücksbringer geschenkt bekommen haben. Wehe dem, dessen Figur zerbrach oder gestohlen wurde. Unheil soll auf solche Familie hereingebrochen sein. Aber in allen Verbreitungsgebieten wurde die Figur als "Prager Engel" bezeichnet. Ab 1818 wurde die Figur in Scheibenberg in der sogenannten Kunzefabrik als erstes erzgebirgisches Christkind überhaupt aus Pappmache in Serie gefertigt. Ob die Figur in der ehemaligen Tongefäßfabrik von Herrn Kunze in Scheibenberg anfänglich ebenfalls als Terrakottafigur hergestellt wurde, konnte nicht ergründet werden. Erst ab 1838 wurde die Figur von Friedrich Gottlieb Mothes gefertigt und nach seinem Tod als "Mothsgungl" bezeichnet.

Bevor die Figur mehr und mehr in weiß dargestellt wurde ( wahrscheinlich durch die Ähnlichkeit mit alten Bornkindelfiguren und durch die falschen anatomischen Gliedmaßen), wurde die Figur hauptsächlich hautfarben, mit blauem Lendenschurz dargestellt. Das sind auch die Farben, welche ich meist als Urfarbe bei vielen zu restaurierenden Figuren finde. Obwohl unser "Mothsgungl" nun eine viel ältere Geschichte hat, als uns bisher bekannt war, glaube ich sagen zu können, es ist eine Scheibenberger Rarität. Denn nur hier bei uns in Scheibenberg und Umgebung hat es bis heute überlebt und wird seine Tradition gepflegt.

Ray Kunzmann